Russlands neue Kriegsmaschinerie und die strategische Ohnmacht des Westens

Erstmals hat Russland der Welt einen Einblick in das Herz seiner neuen Kriegsmaschinerie gewährt: eine Fabrik, die in industriellem Maßstab die gefürchteten Geran-2-Drohnen produziert, besser bekannt unter ihrer iranischen Bezeichnung Shahed-136. Die von russischen Staatsmedien verbreiteten Aufnahmen sind mehr als nur Propaganda; sie sind eine unverhohlene Demonstration einer strategischen Neuausrichtung, die nicht nur die Ukraine, sondern die gesamte NATO vor ein fundamentales Dilemma stellt. Die Bilder zeigen endlose Reihen von fast fertigen Kamikaze-Drohnen, die darauf warten, an die Front geliefert zu werden – eine Fließbandproduktion des Todes.

Was diese Waffen so gefährlich macht, ist nicht primär ihre technologische Raffinesse, sondern ihre schiere Masse und ihr unschlagbar günstiger Preis. Experten schätzen die Kosten pro Drohne auf 20.000 bis 40.000 US-Dollar. Im Gegenzug kostet ein einzelner Abfangrakete eines westlichen Systems wie Patriot oder IRIS-T ein Vielfaches, oft mehrere Millionen Dollar. Diese asymmetrische Kostenstruktur ist der Kern der russischen Strategie. Während die Ukraine gezwungen ist, ihre kostbaren und begrenzten High-Tech-Abwehrraketen einzusetzen, kann Russland den Himmel mit Hunderten, bald vielleicht Tausenden, dieser billigen, aber tödlichen Flugkörper pro Tag fluten. Ein hochrangiger Manager der gezeigten Anlage prahlt vor der Kamera, man produziere bereits ein Vielfaches der ursprünglich angeforderten Menge und strebe eine Kapazität von tausend Drohnen pro Tag an. Auch wenn solche Zahlen mit der üblichen propagandistischen Vorsicht zu genießen sind, verdeutlicht die schiere Größe der Anlage, dass Russland die Drohnenproduktion als kriegsentscheidend betrachtet.

Die strategische Konsequenz ist eine brutale Zermürbungsschlacht in der Luft. Russland setzt dabei nicht nur auf explosive Drohnen. Viele der Flugkörper sind baugleiche Attrappen ohne Sprengkopf, deren einziger Zweck es ist, die ukrainische Flugabwehr zu aktivieren und ihre wertvollen Ressourcen zu erschöpfen. Für die Radarsysteme sind sie nicht von den echten Drohnen zu unterscheiden. Jede Nacht steht die ukrainische Führung vor der unmöglichen Entscheidung: Welche der anfliegenden Objekte abfangen? Setzt man eine Millionen-Dollar-Rakete auf eine 20.000-Dollar-Attrappe ein? Lässt man eine Drohne passieren und riskiert den Einschlag in ein Wohnhaus oder ein Kraftwerk? Die jüngsten Angriffe, bei denen in einer einzigen Nacht über 600 Flugkörper auf die Ukraine abgefeuert wurden, zeigen, dass die Luftverteidigung Kiews bereits heute an ihre Grenzen stößt.

Besorgniserregend ist auch die stetige Weiterentwicklung der Drohnen. Waren die frühen Modelle noch simple "Fire-and-Forget"-Waffen mit vorprogrammierten GPS-Koordinaten, verfügen neuere Versionen offenbar über eine Endphasen-Steuerung. Berichte über aufmontierte Starlink-Systeme deuten darauf hin, dass ein Operator den finalen Anflug manuell steuern kann, was die Präzision erhöht und Angriffe auf bewegliche Ziele theoretisch ermöglicht. Diese erhöhte Genauigkeit wirft jedoch auch düstere Fragen auf: Wenn die Drohnen so präzise sind, warum schlagen sie dann immer wieder in zivilen Wohnkomplexen ein?

Ein weiterer Aspekt, den die russische Reportage enthüllt, ist der Wandel der russischen Gesellschaft hin zu einer umfassenden Kriegswirtschaft. Der Direktor der Drohnenfabrik gibt freimütig zu, keinerlei militärischen oder rüstungstechnischen Hintergrund zu haben. Seine Fabrik war vor dem Krieg ein ziviler Produktionsbetrieb. Man sei auf die Regierung zugegangen und habe angeboten, die Produktion auf Kriegsanforderungen umzustellen. Dieser Prozess erinnert an die sowjetische Mobilisierung im Zweiten Weltkrieg, als zivile Fabriken quasi über Nacht begannen, T-34-Panzer zu produzieren, die teils direkt vom Fließband in die Schlacht von Stalingrad rollten.

Auch die Belegschaft spiegelt diese totale Mobilisierung wider. In der Fabrik arbeiten nicht nur erfahrene Ingenieure, sondern auch Studenten und sogar Jugendliche direkt nach der neunten Klasse – in westlichen Maßstäben 14- oder 15-Jährige. Diese Einbindung der Jugend in die Waffenproduktion ist ein klares Zeichen dafür, dass der Kreml die Gesellschaft auf einen langen, zermürbenden Konflikt vorbereitet.

Für den Westen ist dies ein Weckruf. Das gezeigte Produktionsvolumen und die niedrigen Kosten stellen eine Bedrohung dar, für die es noch keine adäquate Antwort gibt. Die Abhängigkeit von teuren Abwehrsystemen ist auf lange Sicht nicht durchzuhalten. Es bedarf dringend der Entwicklung kostengünstiger Abfangtechnologien – seien es Laser, Hochleistungsmikrowellen oder schlichtweg intelligentere und günstigere Abfangdrohnen. Solange diese Lücke besteht, hat Russland einen entscheidenden Vorteil in diesem Abnutzungskrieg. Die Bilder aus der Drohnenfabrik sind somit nicht nur eine Momentaufnahme der russischen Rüstungskapazität, sondern eine strategische Botschaft: Russland ist bereit und in der Lage, diesen Krieg durch schiere industrielle Masse zu führen – und der Westen ist darauf noch nicht vorbereitet.