Ein Name steht sinnbildlich für die neue Phase des Krieges: Major Robert „Maguar“ Brovdy. Der bisherige Kommandeur der legendären Drohneneinheit „Maguars Vögel“, die als eine der effektivsten der gesamten ukrainischen Armee gilt, wurde Anfang Juni zum Befehlshaber der gesamten Unbemannten Systemstreitkräfte (USF) ernannt. Seine Mission: die Effizienz seiner eigenen Einheit auf die gesamte Armee zu skalieren. Die Zahlen, die in einem aktuellen Bericht der USF für Juni 2025 genannt werden, sind beeindruckend und beängstigend zugleich. Im Juni neutralisierten die ukrainischen Drohnenverbände 19.653 Ziele, darunter 4.521 russische Soldaten – eine Verdopplung der Trefferquote im Vergleich zum Januar. Allein Brovdys Einheit war für 32 % dieser Erfolge verantwortlich.
Doch das ist nur der Anfang. Brovdys erklärtes Ziel, das er unverblümt kommuniziert, lautet: „Wir müssen eine monatliche Marke von 30.000 eliminierten feindlichen Kämpfern erreichen.“ Für seine alte Einheit bedeutet das die brutale Vorgabe von 100 Tötungen pro Tag. Um dies zu erreichen, wird die Drohnenkriegsführung professionalisiert und zentralisiert. Eine einheitliche digitale Plattform zur Zielerfassung und Schadensanalyse soll eingeführt werden. Die Produktion von spezialisierten Sprengköpfen für Drohnen wird im eigenen Land hochgefahren, und die Logistik soll durch unbemannte Bodenfahrzeuge risikoärmer werden – eine Lehre aus den blutigen Materialschlachten im Osten und Süden des Landes. Was als Guerilla-Taktik einzelner Soldaten begann, wird nun zu einer koordinierten, datengesteuerten Militärmacht auf höchster Ebene.
Kapitulation per QR-Code: Der psychologische Krieg an der Front
Parallel zur physischen Auseinandersetzung tobt ein psychologischer Krieg. Während Russland versucht, mit aus Raketenwerfern verschossenen Flugblättern, die QR-Codes zu Kapitulations-Telegram-Kanälen enthalten, die Moral der Ukrainer zu untergraben, perfektioniert Kiew die „geführte Kapitulation“ per Drohne. Jüngste Videos zeigen, wie russische Soldaten, die sich ergeben wollen, von ukrainischen Drohnen aus dem Niemandsland eskortiert werden.
Diese Operationen sind für alle Seiten mit höchstem Risiko verbunden. Ein russischer Soldat, der sich einer ukrainischen Drohne ergab, wurde laut dem ukrainischen Projekt „Ich will leben“ von den eigenen Kameraden mit Mörsern und Kamikaze-Drohnen beschossen – sein Schicksal bleibt ungewiss. Ein anderes Video zeigt jedoch einen verwundeten Russen, dem eine Drohne erst Wasser und Nahrung abwirft, ihn dann sicher zu den ukrainischen Linien lotst, wo er von Soldaten in Empfang genommen wird. Diese Momente der Menschlichkeit sind seltene Lichtblicke in einem ansonsten von Zerstörung geprägten Konflikt und demonstrieren eine neue, unkonventionelle Form der Kriegsführung.
Washingtons Zickzack-Kurs: Ein Geschenk für den Kreml?
Während die Ukraine an der Front Fakten schafft, herrscht beim wichtigsten Verbündeten, den USA, strategisches Chaos. Die Nachricht, dass die Regierung Trump die Militärhilfe für die Ukraine wieder aufgenommen hat, kam ebenso überraschend wie die plötzliche Aussetzung zuvor. In einem kurzen Statement bestätigte Präsident Trump: „Wir müssen ihnen mehr Waffen schicken. Sie müssen sich verteidigen können.“
Doch hinter dieser Kehrtwende verbirgt sich ein tiefgreifendes Problem. Recherchen des „Guardian“ legen nahe, dass der Lieferstopp auf eine alarmierende Erschöpfung der eigenen Bestände zurückzuführen ist. Die USA verfügen demnach nur noch über rund 25 % der Patriot-Abfangraketen, die für die eigenen militärischen Operationspläne als notwendig erachtet werden. Die massiven Lieferungen an die Ukraine und der Einsatz im Nahen Osten, insbesondere zur Abwehr iranischer Raketen, haben die Arsenale geleert.
Die Entscheidung zum Stopp der Lieferungen wurde offenbar vom Pentagon im Alleingang getroffen, ohne klare Abstimmung mit dem Weißen Haus. Tom Wright, ein Sicherheitsexperte der Brookings Institution, sieht darin die Folge einer ausgehöhlten nationalen Sicherheitsarchitektur, in der einzelne Ministerien „ihre eigene Außenpolitik“ betreiben. Dieses unkoordinierte Vorgehen sorgt nicht nur in Kiew für massive Planungsunsicherheit, sondern sendet auch ein verheerendes Signal an Moskau. Der Kreml reagierte auf die Wiederaufnahme der Hilfe mit demonstrativer Gelassenheit. Man werde die Ziele der „militärischen Spezialoperation“ unbeirrt weiterverfolgen. Die russische Taktik scheint sich ohnehin anzupassen: Zuletzt wurden gezielt Rekrutierungszentren in Städten wie Krementschuk angegriffen, um die ukrainische Mobilisierung zu stören.
Der endlose Drohnenschwarm und die Suche nach dem Gegengift
Die größte Bedrohung aus der Luft bleibt für die Ukraine der massive Einsatz iranischer Schahed-Drohnen durch Russland. Präsident Selenskyj sprach von 1.270 dieser Kamikaze-Drohnen, die allein in der letzten Woche abgefeuert wurden. Diese relativ günstigen, aber tödlichen Waffen mit der Zerstörungskraft eines Marschflugkörpers können nicht kosteneffizient mit teuren Patriot-Raketen bekämpft werden. Kiews Fokus liegt daher auf der Entwicklung und dem massenhaften Einsatz eigener Abfangdrohnen. Es ist ein Wettlauf gegen die Zeit und die schiere Masse der russischen Angriffe.
Die kommenden Monate werden zeigen, ob die ukrainische Strategie der technologischen Eskalation und Effizienzsteigerung Früchte trägt und ob der Westen seine internen Widersprüche überwinden kann, um eine kohärente und verlässliche Unterstützung zu gewährleisten. Jeder Tag des Zögerns und der strategischen Unklarheit in Washington ist ein gewonnener Tag für den Kreml.