BERLIN – Der amerikanische Unabhängigkeitstag, traditionell ein Fest der Freiheit, wurde in diesem Jahr zum Symbol einer brutalen Realität. Nur wenige Stunden nach einem weltweit beachteten Telefonat zwischen Donald Trump und Wladimir Putin startete Russland den massivsten kombinierten Drohnen- und Raketenangriff auf die Ukraine seit Beginn des Krieges.3 Während Kiew in Rauch aufging, eskalierte in Washington eine politische Kontroverse um einen mutmaßlichen Stopp amerikanischer Waffenlieferungen, der die Grundfesten der westlichen Unterstützung für die Ukraine erschüttert und Trumps Präsidentschaft vor eine frühe Zerreißprobe stellt.4
In der Nacht zum 4. Juli feuerte das russische Militär eine gewaltige Salve von über 550 Geschossen auf die Ukraine ab. Der Angriff, bestehend aus 539 Shahed- oder Geran-artigen Drohnen und elf Raketen, konzentrierte sich auf die Hauptstadt Kiew.5 Obwohl die ukrainische Luftverteidigung nach eigenen Angaben beeindruckende 478 Ziele neutralisieren konnte, fanden 72 Raketen und Drohnen ihren Weg durch die Abwehr. Sie hinterließen eine Schneise der Zerstörung, töteten mindestens eine Person, verletzten Dutzende weitere und tauchten die Metropole in dichten Rauch.
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj zögerte nicht, eine direkte Verbindung zwischen der diplomatischen Geste und der militärischen Eskalation herzustellen. „Die ersten Luftangriffe begannen fast zeitgleich mit der Diskussion über das Telefongespräch zwischen Präsident Trump und Putin“, erklärte ein sichtlich erschütterter Selenskyj. „Russland demonstriert einmal mehr, dass es nicht die Absicht hat, den Krieg und den Terror zu beenden.“ Seine Botschaft an den Westen war unmissverständlich: Nur massiver Druck durch Sanktionen und die Lieferung von Luftverteidigungssystemen wie Patriots könnten das Blatt wenden. „Sie sind die wahren Verteidiger des Lebens“, so Selenskyj.
Die dramatischen Ereignisse in der Ukraine wurden durch eine politische Krise in Washington überschattet, die Zweifel an der Verlässlichkeit der USA als Bündnispartner sät. Berichten von NBC News zufolge hat US-Verteidigungsminister Pete Hagseth einen bereits genehmigten Waffentransport gestoppt – und das gegen die ausdrückliche Empfehlung seiner ranghöchsten Militärs. Eine Analyse des Generalstabs hatte ergeben, dass die Lieferung, die unter anderem 252 GMLRS-Raketen und 30 Patriot-Abfangraketen umfasste, die Einsatzbereitschaft der US-Streitkräfte nicht gefährden würde.
Die offizielle Begründung des Pentagons, man sorge sich um die eigenen, schwindenden Lagerbestände, wird damit als Vorwand entlarvt. Die Entscheidung, die das Außenministerium, den Kongress und die europäischen Verbündeten völlig unvorbereitet traf, scheint eine politisch motivierte Aktion zu sein, die Trumps „America First“-Doktrin widerspiegelt. Ein Sprecher des Verteidigungsministeriums wich kritischen Fragen aus und betonte lediglich, es sei die Aufgabe des Ministeriums, dem Präsidenten „eine Reihe von Optionen“ zu unterbreiten, um Amerika an erste Stelle zu setzen.
Bemerkenswert ist jedoch der vehemente Widerspruch, der sich im konservativen Lager der USA formiert. Publikationen wie das Wall Street Journal und die New York Post, die Trump üblicherweise unterstützen, verurteilten den Schritt in scharfen Tönen. Die New York Post warf Trumps Regierung eine „fehlerhafte Risikobewertung“ vor und warnte eindringlich: „Die Konsequenzen, wenn man Russland seine Nachbarn erobern lässt, werden weitaus schlimmer sein als ein nicht vollständig gefülltes Waffenlager.“ Ein Sieg Russlands, so die Argumentation, würde nicht nur die Ukraine auslöschen, sondern auch die Glaubwürdigkeit der USA als Schutzmacht untergraben und China zu weiterer Aggression, insbesondere gegenüber Taiwan, ermutigen.
Diese Analyse wird durch eine bemerkenswerte Enthüllung der South China Morning Post gestützt. Demnach soll der chinesische Außenminister Wang Yi gegenüber EU-Vertretern offen zugegeben haben, dass sich Peking eine Niederlage Russlands nicht leisten könne. Die Begründung: Die USA würden sich danach mit ganzer Kraft auf China konzentrieren. Diese Aussage bestätigt, was viele strategische Beobachter seit langem vermuten: Der Krieg in der Ukraine ist längst ein Stellvertreterkonflikt im globalen Ringen zwischen Washington und Peking.
Donald Trump selbst gab sich nach seinem Gespräch mit Putin „sehr enttäuscht“ und erklärte, er glaube nicht, dass der Kremlchef bereit sei, den Krieg zu beenden.6 Gleichzeitig wiederholte er seine bekannte Position, der Konflikt sei „Bidens Krieg“, in den er nur hineingezogen worden sei. Sein anschließendes Telefonat mit Präsident Selenskyj verlief laut dessen Zusammenfassung konstruktiv. Man sprach über eine mögliche Zusammenarbeit in der Rüstungsindustrie, insbesondere bei der Produktion von Drohnen. Der Waffenstopp wurde in der öffentlichen Kommunikation bewusst ausgespart – ein diplomatisches Manöver Selenskyjs, um den unberechenbaren US-Präsidenten nicht weiter zu provozieren.
Während die politische Debatte in Washington tobt, schafft die Ukraine auf dem Schlachtfeld Fakten. Als Reaktion auf die wachsende Unsicherheit meldete Kiew einen erfolgreichen Angriff auf ein russisches Forschungsinstitut nahe Moskau, das für die Produktion von Sprengköpfen für Shahed-Drohnen verantwortlich sein soll.
Die Ereignisse des 4. Juli haben die Karten neu gemischt. Der brutale Angriff auf Kiew hat die leeren Phrasen von einem schnellen Frieden Lügen gestraft. Gleichzeitig hat die Kontroverse um den Waffenstopp die tiefen Gräben innerhalb der US-Regierung und des westlichen Bündnisses offengelegt. Die kommenden Wochen werden zeigen, ob Trump dem Druck aus den eigenen Reihen nachgibt oder ob sein „America First“-Instinkt die Oberhand gewinnt. Für die Ukraine hängt von dieser Entscheidung das Überleben ab. Für den Westen steht nicht weniger als seine globale Glaubwürdigkeit auf dem Spiel.