Waffenstillstand in Syrien, der mehr Fragen aufwirft als beantwortet

Ein fragiler Waffenstillstand in der südsyrischen Provinz Suweida beendet vorerst die Kämpfe zwischen Drusen und Beduinen, bei denen nach jüngsten Zählungen mindestens 250 Menschen ums Leben kamen. Doch hinter der scheinbaren Ruhe verbirgt sich ein explosives Gemisch aus gegenseitigen Vernichtungsvorwürfen, tiefem Misstrauen gegenüber der neuen syrischen Regierung und einer komplexen internationalen Gemengelage, die jederzeit wieder eskalieren könnte

A hyper-realistic and symbolic image in 16:9 format, depicting the fragile ceasefire in Southern Syria. In the foreground, a cracked and dusty chessboard sits on the arid, rocky ground. One white chess piece, a king, has a small, torn white ceasefire flag stuck to it, smudged with dirt. In the blurred background, two distinct groups of shadowy, armed figures watch each other menacingly from behind rocky outcrops; one group suggests Bedouin tribal fighters, the other Druze militiamen. The sky is overcast with dramatic, stormy clouds, but a single, weak ray of sunlight breaks through, illuminating the chessboard, symbolizing a fragile hope. Looming over the entire scene, almost like a heat haze or a faint mirage, is the unsettling silhouette of the new Syrian flag. The atmosphere is extremely tense and silent, filled with mistrust. The style should be that of a cinematic political thriller, with high detail, dramatic lighting, and a muted, realistic color palette.

Die Gewalt, die in den vergangenen Tagen die Region erschütterte, war von besonderer Brutalität geprägt. Berichte und Videoaufnahmen zeugen von gefolterten und exekutierten Zivilisten, darunter Frauen, Kinder und Ältere, auf beiden Seiten. Die syrische Regierung unter Führung von Ahmed al-Shara hat mittlerweile mit der Evakuierung von rund 1.500 Beduinen-Familien aus der umkämpften Stadt Suweida begonnen. Busse wurden bereitgestellt, um die Zivilisten in Sicherheit zu bringen, während Militärpolizei den Abzug überwacht.

Doch die Deeskalation ist trügerisch. Zehntausende bewaffnete Beduinen aus dem ganzen Land, die zur Verteidigung ihrer "Brüder und Schwestern" in den Süden geeilt waren, haben einen Belagerungsring um die Stadt gebildet. Die Atmosphäre ist bis zum Zerreißen gespannt. Ali Alawarin, ein beduinischer Bauer, bezeichnete die Angriffe der Drusen-Milizen als "ungerechtfertigt" und äußerte erhebliche Zweifel daran, dass die Regierung in Damaskus die Kontrolle behalten könne.

Im Zentrum des Konflikts steht nicht nur die ethnische Gewalt, sondern auch eine tiefe Spaltung innerhalb der drusischen Gemeinschaft selbst und das fundamentale Misstrauen gegenüber der neuen Regierung in Damaskus. Seit dem Sturz Assads und der Machtübernahme durch die HTS-Nachfolge-Regierung unter Al-Shara, ehemals als Al-Golani bekannt, ringen Syriens Minderheiten um ihre Zukunft. Die Frage, die das Land spaltet, ist einfach und doch existenziell: Ist Al-Shara ein gewandelter Mann, der ein geeintes, pluralistisches Syrien anstrebt, oder ein Wolf im Schafspelz, der bei erster Gelegenheit zu seinen dschihadistischen Wurzeln zurückkehrt?

Diese Spaltung manifestiert sich in den Äußerungen zweier führender drusischer Persönlichkeiten. Layth al-Balous, eine moderate Stimme, ruft zur Einheit auf: "Wir verteidigen die Würde und Einheit von Suweida. Wir lehnen Chaos und ausländische Agenden ab. Wir sind für ein vereintes Syrien, das von Recht und nicht von Blut regiert wird." Er plädiert für Dialog und hat maßgeblich an den Waffenstillstandsverhandlungen mitgewirkt.

Ihm gegenüber steht der konfrontative Scheich Hikmat al-Hijri. Seine Appelle richten sich nicht an Damaskus, sondern an die internationale Gemeinschaft. In einer dramatischen Erklärung wandte er sich direkt an "seine Eminenz Präsident Donald Trump, Premierminister Benjamin Netanjahu, Kronprinz Mohammed bin Salman und seine Majestät König Abdullah II.". Er fleht: "Rettet Suweida! Unsere Leute werden ausgerottet und kaltblütig ermordet. Die Maske ist vom Gesicht dieser unterdrückerischen, tyrannischen Herrscherbande gefallen." Al-Hijri beschuldigt explizit die Regierung Al-Sharas, hinter den Massakern zu stecken.

Die Rolle der Regierung ist in der Tat das größte Rätsel in diesem Konflikt. Drei Szenarien scheinen denkbar:

  1. Aktive Aggression: Die Regierung nutzt den Konflikt, um die historisch widerständigen Drusen gezielt zu schwächen oder zu vertreiben. Als Beleg wird angeführt, dass syrische Regierungstruppen an der Schändung drusischer religiöser Stätten beteiligt gewesen sein sollen. Dies passt zur Erzählung, dass Al-Shara seine alte Ideologie nie abgelegt habe.
  2. Gewollt, aber Unfähig: Die Regierung in Damaskus möchte Frieden stiften, ist aber zu schwach, um ihre Macht im Süden durchzusetzen. Als syrische Truppen zur Befriedung nach Süden entsandt wurden, gerieten sie umgehend unter israelisches Feuer, was ihre Handlungsfähigkeit massiv einschränkte. Der US-Botschafter in der Türkei, Tom Barrack, stützt diese Lesart, indem er sagt, die neue Regierung tue ihr Bestes "mit sehr wenigen Ressourcen".
  3. Gleichgültiger Opportunismus: Al-Shara lässt die Beduinen die "Drecksarbeit" erledigen, um die Drusen zu schwächen, ohne selbst direkt eingreifen zu müssen. So kann er nach außen den hilflosen Staatsmann mimen, während sich ein regionales Problem für ihn von selbst löst.

Die internationale Dimension verschärft die Lage zusätzlich. Israel hat klare "rote Linien" gezogen. Premierminister Netanjahu erklärte, man werde die Militarisierung des Gebiets südlich von Damaskus und Angriffe auf die drusische Minderheit nicht tolerieren. Die israelischen Luftangriffe der letzten Woche waren eine direkte Antwort auf die Verletzung dieser Linien. Gleichzeitig appellieren Teile der Drusen direkt an Israel um Schutz.

Die Türkei wiederum warnte davor, dass jeder Versuch, Syrien zu spalten, als nationale Sicherheitsbedrohung betrachtet und eine Intervention nach sich ziehen würde. Die USA versuchen zu vermitteln, wobei Botschafter Barrack die israelischen Angriffe als "verwirrendes Kapitel zur falschen Zeit" kritisierte, aber auch Verständnis für die schwierige Lage der neuen syrischen Regierung zeigte.

Derzeit herrscht Schweigen der Waffen in Suweida. Familien werden evakuiert, und ein Abkommen sieht die Freilassung drusischer Geiseln vor. Doch es ist ein Friede auf Bewährung. Solange das Misstrauen gegenüber der Regierung in Damaskus so tief sitzt und die regionalen Mächte ihre eigenen Agenden verfolgen, bleibt die Provinz ein Pulverfass. Der nächste Funke könnte genügen, um eine noch größere Explosion auszulösen.