Sudans vergessener Völkermord: Eine Schattenregierung in Darfur droht das Land zu spalten

Während die Weltöffentlichkeit ihren Blick auf die Krisenherde in der Ukraine und im Nahen Osten richtet, vollzieht sich im Sudan eine Katastrophe von apokalyptischem Ausmass, weitgehend ignoriert von den Schlagzeilen. Es ist ein Krieg, den die Vereinten Nationen als die schlimmste humanitäre Krise der Welt bezeichnen – ein Konflikt, der bereits Hunderttausende das Leben gekostet, Millionen in die Flucht getrieben und eine ganze Nation an den Rand des Hungertodes gebracht hat. Nun droht eine neue Eskalation, das Land endgültig zu zerreissen.

Photorealistic digital art, dramatic cinematic lighting, 16:9 aspect ratio. A wide-angle view of the arid landscape of Darfur. The ground is cracked and barren, with a deep, dark fissure splitting the earth in two, symbolizing the partition of Sudan. In the distance, smoke rises from the smoldering ruins of a small village. The scene is bathed in a harsh, unforgiving sunlight, casting long, dark shadows and creating an atmosphere of despair, abandonment, and immense tragedy.

Der jüngste Wendepunkt ereignete sich am 26. Juli in Nyala, der Hauptstadt von Süd-Darfur. Dort verkündete ein Bündnis um die paramilitärischen Rapid Support Forces (RSF) unter der Führung des berüchtigten Warlords Mohamed Hamdan Dagalo, bekannt als Hemedti, die Bildung einer neuen Regierung. Dieser Schritt ist eine direkte Kampfansage an die international anerkannte Regierung der Sudanesischen Streitkräfte (SAF) unter General Abdel Fattah al-Burhan, die nach dem Fall der Hauptstadt Khartum nach Port Sudan ausgewichen ist.

Diese Proklamation einer Parallelregierung ist mehr als nur ein politisches Manöver. Sie ist die logische Konsequenz der militärischen Rückschläge der RSF in den Zentralregionen des Sudan und eine strategische Neuausrichtung. Nachdem die RSF aus Khartum vertrieben wurde, scheint Hemedti seine Ambitionen, den gesamten Sudan zu beherrschen, aufgegeben zu haben. Stattdessen konzentriert er sich nun darauf, seine Machtbasis in seiner Heimatregion Darfur zu zementieren. Das erklärte Ziel: die mögliche Abspaltung eines eigenen Staates im Westen des Landes.

Diese Entwicklung ist aus zwei Gründen äusserst besorgniserregend. Erstens rückt ein Waffenstillstand damit in unerreichbare Ferne. Der Sudan War Monitor analysiert treffend: „Indem die RSF ihre Autorität institutionalisiert und einen rivalisierenden Präsidentschaftsrat einsetzt, untermauert sie ihre Weigerung, die militärische Führung in Port Sudan anzuerkennen, und vertieft die politische Kluft.“ Für die SAF in Port Sudan ist jeder Gedanke an eine Parallelregierung illegitim und destabilisierend, was eine Versöhnung praktisch ausschliesst.

Zweitens, und das ist die noch düsterere Perspektive, ebnet dieser Schritt den Weg für die Vollendung eines Völkermordes. Die RSF, die aus den nomadischen arabischen Stämmen der Region hervorgegangen ist, sieht die sesshaften, nicht-arabischen Ethnien Darfurs – wie die Massalit, die Zaghawa und die Fur – nicht als politische Rivalen, sondern als „Verunreinigung“, die es zu „säubern“ gilt. Diese entmenschlichende Rhetorik wird von brutalen Taten untermauert, die den Vorwurf des Genozids begründen.

Obwohl der Krieg im gesamten Sudan von unvorstellbaren Gräueltaten beider Seiten geprägt ist – die SAF bombardiert wahllos Wohngebiete und lässt Hilfslieferungen blockieren, während die RSF Folterzentren betrieb, Städte plünderte und systematische sexuelle Gewalt verübte –, haben die Verbrechen in Darfur eine andere, gezielt ethnische Dimension. Die USA haben die Taten der RSF als Völkermord eingestuft, und die UN warnte bereits im Juni vor einem „sehr hohen“ Genozidrisiko.

Die Beweislage ist erdrückend. In ihrem jüngsten Bericht prangert die Organisation „Ärzte ohne Grenzen“ an, dass Zivilisten in Darfur von den RSF und ihren Verbündeten „aktiv und gezielt aufgrund ihrer ethnischen Zugehörigkeit“ angegriffen werden. Während der Belagerung von Al-Fasher, der letzten Bastion der SAF in Darfur, sprachen RSF-Kämpfer offen davon, die Stadt „säubern“ zu wollen. Im Flüchtlingslager Zamzam wurden Menschen gezielt nach ihrer Zugehörigkeit zum Volk der Zaghawa befragt und bei Bestätigung ermordet.

Diese Massaker spiegeln die Ereignisse in der Stadt El Geneina im Jahr 2023 wider. Nach der Eroberung der Stadt durch die RSF folgte eine organisierte Massentötung von Zivilisten der Massalit. Human Rights Watch beschrieb, wie RSF-Kämpfer auf einen kilometerlangen Konvoi flüchtender Zivilisten das Feuer eröffneten und Männer, Frauen und Kinder jagten und erschossen. Schätzungen gehen von mindestens 10.000 Toten aus – mehr als beim Massaker von Srebrenica 1995, das die Welt zum Handeln zwang.

Die RSF ist keine neue Erscheinung. Sie ist aus den Janjaweed-Milizen hervorgegangen, die bereits vor 20 Jahren den ersten Völkermord in Darfur verübten. Es scheint, als seien sie in neuer Form zurückgekehrt, um die damalige Arbeit zu beenden. Das Frustrierende daran: Während der erste Genozid in Darfur eine Welle internationaler Empörung und Kampagnen von Prominenten wie George Clooney auslöste, findet die Fortsetzung heute unter Ausschluss der Weltöffentlichkeit statt.

Zwar gibt es vereinzelte Reaktionen. Die USA haben Sanktionen verhängt. Die Regierung in Port Sudan versuchte, die Vereinigten Arabischen Emirate, die als Hauptwaffenlieferant der RSF gelten, vor dem Internationalen Gerichtshof (IGH) anzuklagen. Doch die Klage scheiterte, da die VAE bei der Unterzeichnung der Völkermordkonvention einen Vorbehalt eingefügt hatten, der die Zuständigkeit des IGH ausschliesst – ein juristischer Kniff mit fatalen Folgen.

Die Gründung der Parallelregierung in Nyala könnte nun eine Kettenreaktion auslösen. Die Gefahr einer Teilung nach dem Vorbild Libyens ist real, doch die Folgen wären in einem Land mit fast siebenmal so vielen Einwohnern und unzähligen ethnischen Bruchlinien ungleich katastrophaler. Über allem schwebt das Gespenst einer Hungersnot. In Teilen Darfurs herrscht bereits offiziell eine Hungersnot, und die Zahl der hungernden Kinder steigt exponentiell.

Es wäre falsch, Einzelpersonen die Schuld für ihre begrenzte Kapazität zur Anteilnahme an globalen Krisen zu geben. Doch es ist fundamental irrational, dass die Welt als Ganzes – die EU, die USA, die Afrikanische Union, China – diesen Völkermord ignoriert. Allan Boswell von der International Crisis Group formulierte es treffend gegenüber dem Foreign Policy Magazine: „Man fragt sich, was nur 5 % der Energie, die auf Krisen wie Gaza und die Ukraine verwendet wird, in einem Kontext wie dem Sudan hätten bewirken können und wie viele Zehntausende von Leben sie hätten retten können.“

Ein altes Sprichwort besagt, dass für den Triumph des Bösen nur die Tatenlosigkeit der Guten nötig ist. Im Sudan spielt sich diese bittere Wahrheit in Echtzeit ab.