Für Jahrzehnte galt eine einfache Weisheit als goldener Standard für den privaten Vermögensaufbau: Investiere breit gestreut, kostengünstig und diszipliniert in den Aktienmarkt, und der Zinseszinseffekt wird für einen sorgen. Die bevorzugte Waffe in diesem Unterfangen war für viele ein kostengünstiger Indexfonds, der den US-amerikanischen S&P 500 abbildet. Diese Strategie, die das aktive und oftmals kostspielige „Stock-Picking“ vermeidet, hat sich in den letzten 30 Jahren als ausserordentlich erfolgreich erwiesen. Sie versprach Diversifikation über 500 der grössten Unternehmen Amerikas und damit eine Teilhabe am gesamten wirtschaftlichen Erfolg der USA – und das bei minimalen Gebühren, die nicht von Finanzmanagern aufgezehrt werden. Doch was, wenn dieser vermeintlich sichere Hafen sich unbemerkt in eine hochkonzentrierte und spekulative Wette verwandelt hat?
Die fundamentale Logik eines Indexfonds ist bestechend einfach. Anstatt zu versuchen, den Markt zu schlagen – ein Unterfangen, an dem selbst professionelle Fondsmanager regelmässig scheitern –, kauft man einfach den Markt selbst. Ein S&P 500 Indexfonds investiert in alle 500 Unternehmen des Index, gewichtet nach deren Marktkapitalisierung. Das bedeutet, ein Gigant wie Apple, der einen erheblichen Teil des Gesamtwertes des Index ausmacht, erhält einen entsprechend grossen Anteil am Portfolio des Anlegers. Ein kleineres, aber immer noch bedeutendes Unternehmen wie die Drogeriekette CVS macht nur einen Bruchteil davon aus. Dieses System stellt sicher, dass der Fonds die Bewegungen des Marktes präzise nachzeichnet. Solange die amerikanische Wirtschaft als Ganzes wächst, wächst auch das angelegte Vermögen. Dieses Vorgehen minimiert nicht nur den Aufwand und die Sorgen, die mit Einzelaktieninvestments einhergehen, sondern vor allem die Kosten, die andernfalls die Rendite schmälern würden.
Doch in den letzten Jahren, und insbesondere in den letzten fünf, hat sich eine tektonische Verschiebung innerhalb dieses soliden Fundaments vollzogen. Die Dominanz der grossen Technologiekonzerne hat ein historisches Ausmass erreicht. Heute machen die zehn grössten Unternehmen im S&P 500 rund 38 Prozent des gesamten Indexwertes aus. Das Prinzip der breiten Diversifikation über 500 Unternehmen wird damit ad absurdum geführt, wenn fast 40 Prozent des Kapitals in nur zehn Firmen konzentriert sind.
Das eigentliche Problem liegt jedoch nicht nur in der Konzentration selbst, sondern in der Natur dieser Unternehmen. Ein Grossteil dieser Top-10-Werte – Namen wie Nvidia, Microsoft, Google und Amazon – sind die Hauptprotagonisten des aktuellen Hypes um Künstliche Intelligenz (KI). Ihre Bewertungen sind in Erwartung einer revolutionären Zukunft, in der KI alle Bereiche der Wirtschaft durchdringt, in astronomische Höhen geschossen. Nvidia allein macht inzwischen rund 7 Prozent des gesamten S&P 500 aus. Wer also heute in einen S&P 500 Indexfonds investiert, tätigt unweigerlich eine massive, konzentrierte Wette auf den Erfolg der KI – eine Zukunft, die hochspekulativ und alles andere als garantiert ist.
Diese Entwicklung stellt langjährige Anhänger der passiven Anlagestrategie vor ein Dilemma. Das Gefühl, breit diversifiziert und damit relativ sicher investiert zu sein, weicht der beunruhigenden Erkenntnis, stärker exponiert zu sein, als man es je beabsichtigt hatte. Die Kurs-Gewinn-Verhältnisse (KGV) vieler dieser Tech-Giganten sind auf Niveaus, die nur durch eine extrem optimistische Zukunftsprognose gerechtfertigt werden können. Was aber, wenn sich die KI-Revolution als Blase entpuppt? Oder wenn, was wahrscheinlicher ist, der wirtschaftliche Nutzen der KI nicht primär den grossen Modellentwicklern, sondern unzähligen anderen Unternehmen zugutekommt?
Aus dieser Sorge heraus entsteht die Notwendigkeit, die eigene Strategie zu überdenken. Ein möglicher Schritt ist eine bewusste Re-Diversifikation. Dies bedeutet nicht, das bewährte Modell komplett über Bord zu werfen, sondern es anzupassen. Ein Viertel des im S&P 500 investierten Kapitals könnte beispielsweise umgeschichtet werden. Ein Teil davon könnte in sogenannte „Value“-Indexfonds fliessen, die gezielt Unternehmen mit solideren, weniger aufgeblähten Bewertungen auswählen und damit einen Gegenpol zu den wachstumsstarken, aber hoch bewerteten Tech-Aktien bilden.
Ein weiterer Teil könnte in Mid-Cap-Fonds investiert werden, die sich auf mittelgrosse Unternehmen konzentrieren und so die Abhängigkeit von den grössten Konzernen reduzieren. Erstmals könnte auch eine geografische Diversifikation durch die Beimischung eines internationalen Indexfonds sinnvoll sein, der die Weltwirtschaft abbildet und nicht nur die eines einzigen, wenn auch dominanten Landes.
Die vielleicht interessanteste, aber auch kontroverseste Überlegung betrifft eine gezielte Investition in Small-Cap-Aktien, also in kleine Unternehmen. Während der S&P 500 in den letzten Jahren eine massive Wertsteigerung erlebte, blieben die Bewertungen im Small-Cap-Segment vergleichsweise moderat. Diese Unternehmen müssen in den kommenden Jahren keine riskanten Manöver vollführen, um ihre Bewertungen zu rechtfertigen; sie müssen einfach nur ihr Geschäft solide weiterführen.
Dahinter steht eine kühne These: Der grösste Wert der KI-Revolution könnte letztlich nicht bei den Giganten wie Google oder Microsoft landen, sondern bei den unzähligen kleineren und agileren Firmen, die KI als Werkzeug nutzen. Wenn KI zu einer Art Ware wird – einem zugänglichen und erschwinglichen Tool zur Effizienzsteigerung –, dann könnten die grossen Anbieter in einen harten Preiswettbewerb geraten. Die wahren Gewinner wären dann die Ingenieurbüros, die neue Materialien entwickeln, die Pharmafirmen, die Medikamentenforschung beschleunigen, und die Einzelhändler, die ihre Logistik optimieren. Der Wert würde an die Anwender fliessen, nicht an die Erschaffer.
Dies ist freilich eine Wette gegen den Strom. Historisch gesehen haben oft die grossen Plattformen den Löwenanteil des Profits eingestrichen. Und die Performance von Small-Cap-Indizes wie dem Russell 2000 war in den letzten zehn Jahren deutlich schwächer als die des S&P 500. Eine vollständige Umschichtung wäre daher unklug und riskant.
Doch eine teilweise Neuausrichtung erscheint als Gebot der Vernunft. Es geht darum, ein Klumpenrisiko zu reduzieren, das sich im Schafspelz der Diversifikation versteckt hat. Wenn 75 Prozent des Portfolios weiterhin im S&P 500 verbleiben, bleibt man an der grundsätzlichen Entwicklung des Marktes beteiligt. Die restlichen 25 Prozent dienen jedoch als Hedge – eine Absicherung gegen eine Zukunft, in der KI zwar eine wichtige Rolle spielt, aber eben als nützliche Ware und nicht als welterschütternde Superintelligenz, die einige wenige Unternehmen zu gottgleichen Monopolen macht. Die Zeiten, in denen man blind einen S&P 500 Indexfonds kaufen und halten konnte, sind möglicherweise vorbei. Nicht, weil die Strategie falsch war, sondern weil der Markt, den sie abbildet, sich fundamental verändert hat. Eine Neubewertung der eigenen Risiken ist unerlässlich.