Ein Name, der an eine dunkle Fantasiewelt erinnert, eine Reputation, die von Geheimnissen und Kontroversen umgeben ist, und ein Aktienkurs, der die Gesetze der finanziellen Schwerkraft zu missachten scheint. Die Rede ist von Palantir, dem US-amerikanischen Datenanalyse-Unternehmen, das still und leise zu einem der mächtigsten und strategisch wichtigsten Akteure in der globalen Technologie- und Sicherheitslandschaft aufgestiegen ist. Während die meisten Menschen noch rätseln, was die Firma von CEO Alex Karp eigentlich tut, verfolgt Palantir einen brillanten und zugleich beunruhigenden Plan: sich für Regierungen und Grosskonzerne so unentbehrlich zu machen, dass ein Wechsel zu einem anderen Anbieter praktisch unmöglich wird. Eine Strategie, die an der Börse für eine explosive Kursentwicklung sorgt, aber auch fundamentale Fragen aufwirft.
Das Betriebssystem für die Macht
Im Kern ist Palantir ein Softwareunternehmen, das grossen Institutionen hilft, aus riesigen, unstrukturierten Datenmengen bessere Entscheidungen zu treffen. Gegründet 2003 mit dem Ziel, US-Geheimdienste im Kampf gegen den Terrorismus zu unterstützen, hat sich das Unternehmen weit über seine Anfänge hinaus entwickelt. Heute bedient Palantir mit seinen Plattformen Militärs, Polizeibehörden, Gesundheitsorganisationen und Konzerne in Sektoren wie Energie, Finanzen und Luftfahrt.
Das Produktportfolio fusst auf vier Säulen. Die bekannteste ist Gotham, eine Plattform, die für Regierungs- und Verteidigungskunden konzipiert wurde. Ein gut dokumentiertes Beispiel ist der Einsatz im Afghanistan-Krieg, wo das US-Militär Gotham nutzte, um Netzwerke von Bombenlegern zu identifizieren. Durch die Verknüpfung von Daten aus Feldberichten, Drohnenaufnahmen und Informationen von lokalen Quellen half die Software, verborgene Beziehungen zwischen Personen, Orten und Ereignissen aufzudecken – und damit Leben zu retten.
Für den kommerziellen Sektor entwickelte Palantir Foundry. Diese Plattform fungiert als zentrales Nervensystem für Unternehmen. Ein Paradebeispiel ist die Zusammenarbeit mit Airbus. Der Flugzeughersteller stand vor der Herausforderung, einen Produktionsprozess mit Tausenden von Zulieferern und Millionen von Einzelteilen zu optimieren. Durch die Integration aller Daten in Foundry konnte Airbus die Auslieferung des A350 um 33 % beschleunigen. Die Lösung war so erfolgreich, dass Airbus und Palantir daraus ein Joint Venture namens Skywise gründeten, das diesen Service heute über 100 Fluggesellschaften anbietet.
Im Hintergrund sorgt Apollo dafür, dass Software wie Gotham und Foundry in jeder Umgebung – von Cloud-Servern bis hin zu abgeschotteten Systemen auf U-Booten – sicher und kontinuierlich läuft. Die neuste Ergänzung ist AIP (Artificial Intelligence Platform), die es Kunden ermöglicht, grosse Sprachmodelle wie GPT-4 sicher mit ihren sensiblen internen Daten zu verbinden und dabei die menschliche Kontrolle zu wahren.
Die Strategie des "Switching Moat"
Palantirs eigentlicher Geniestreich liegt jedoch nicht nur in der Leistungsfähigkeit seiner Produkte, sondern in seiner Geschäftsstrategie. Das Unternehmen verfolgt das Ziel, einen sogenannten "Switching Moat" zu errichten – einen Burggraben, der es für Kunden extrem kostspielig und aufwendig macht, den Anbieter zu wechseln. Wer seine gesamte Organisation auf Palantirs Software ausgerichtet hat, von der Lieferkette bis zur strategischen Planung, kann nicht einfach den Stecker ziehen.
Nach dem direkten Börsengang 2020 – ein bewusster Schritt, um sich von der Wall Street abzugrenzen – konzentrierte sich Palantir nicht auf kurzfristige Gewinnmaximierung, sondern auf aggressive Kundenakquise. Die Zahl der Kunden verfünffachte sich in vier Jahren auf über 700, darunter das US-Verteidigungsministerium, die CIA, der britische National Health Service (NHS), aber auch Konzerne wie BP, Microsoft und das Formel-1-Team von Ferrari.
Die Strategie geht auf. Die durchschnittliche Laufzeit der neu abgeschlossenen Verträge steigt stetig an und liegt für 2024 bei 3,6 Jahren. Noch beeindruckender: Palantir kann die Preise erhöhen, ohne Kunden zu verlieren. Der durchschnittliche Umsatz mit den Top-20-Kunden hat sich seit 2020 von 33,2 Millionen auf 64,6 Millionen Dollar fast verdoppelt. Diese wachsende Unverzichtbarkeit schlägt sich nun auch in den Finanzen nieder. Nach einem Verlust von über 1,1 Milliarden Dollar im Jahr 2020 ist das Unternehmen mittlerweile hochprofitabel und steuert auf einen Jahresgewinn von über 850 Millionen Dollar zu.
Astronomische Bewertung und handfeste Risiken
Diese Entwicklung hat an der Börse eine Euphorie ausgelöst. Die Aktie ist in den letzten 12 Monaten um über 400 % gestiegen, was den Börsenwert auf über 360 Milliarden Dollar katapultierte. Damit einher geht jedoch eine astronomische Bewertung. Das aktuelle Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV) liegt bei schwindelerregenden 670. Investoren wetten also auf ein zukünftiges Wachstum, das jenes vieler anderer Tech-Giganten in den Schatten stellen müsste. Die Parallele zu Nvidia vor einigen Jahren wird oft gezogen: Ein damals extrem hoch bewertetes Unternehmen, dessen explosive Gewinnentwicklung die Bewertung im Nachhinein als günstig erscheinen liess. Ob Palantir diesen Weg wiederholen kann, ist die entscheidende Frage.
Gleichzeitig gibt es handfeste Kritikpunkte. Ein wesentlicher ist die aggressive aktienbasierte Vergütung (Stock-Based Compensation). Im Jahr 2020 überstiegen diese Zahlungen an das Management sogar den gesamten Umsatz des Unternehmens. Obwohl dieser Wert auf 24 % des Umsatzes gesunken ist, bleibt er aussergewöhnlich hoch und führt zu einer stetigen Verwässerung der Anteile bestehender Aktionäre.
Palantir steht somit an einem Scheideweg. Auf der einen Seite steht ein technologisch führendes Unternehmen mit einem brillanten Geschäftsmodell, das sich tief in die kritischen Infrastrukturen von Staaten und Konzernen integriert hat. Auf der anderen Seite stehen eine Bewertung, die kaum noch Raum für Enttäuschungen lässt, und eine Unternehmensführung, die sich grosszügig auf Kosten der Aktionäre entlohnt. Die unsichtbare Macht von Palantir ist real – doch ob sie den aktuellen Hype an der Börse rechtfertigt, wird die Zukunft zeigen müssen.