In einer Welt, die von globalen Umbrüchen und technologischem Wandel geprägt ist, sollte das Geschäft der Unternehmensberater florieren. Wer, wenn nicht sie, soll den verunsicherten Konzernlenkern den Weg durch das Dickicht der Disruption weisen? Und doch scheint ausgerechnet McKinsey & Company, der unangefochtene Titan der Branche, an Gewicht zu verlieren. Das fast 100-jährige Traditionshaus, dessen Name einst als Synonym für strategische Exzellenz galt, befindet sich in einem Moment tiefgreifender Ungewissheit.
Bis vor Kurzem schien der Aufstieg McKinseys unaufhaltsam. Zwischen 2012 und 2024 verdoppelte das Unternehmen seinen Umsatz in einem atemberaubenden Tempo. Doch diese goldene Ära scheint vorüber. Schätzungen zufolge wuchs der Umsatz im vergangenen Jahr nur noch um magere zwei Prozent. Gleichzeitig hat die Firma seit Ende 2023 ihre Belegschaft um rund 5.000 Mitarbeiter reduziert – ein drastischer Schritt für ein Unternehmen, das für sein elitäres Wachstum bekannt war.
Der Trugschluss vom selbstverkauften Erfolg
Der Leitsatz von Marvin Bower, dem legendären Managing Partner der 1950er und 60er Jahre, lautete: McKinseys Dienste würden „gesucht, nicht verkauft“. Diese vornehme Zurückhaltung war jedoch in der jüngsten Expansionswelle längst einer aggressiven Wachstumsstrategie gewichen. Die Firma investierte massiv in den Ausbau neuer Geschäftsfelder, allen voran in die digitale Beratung. Zwischen 2013 und 2023 akquirierte McKinsey mindestens 16 Technologieberatungen und drängte verstärkt in die Implementierung der eigenen Ratschläge – von operativen Prozessen über Beschaffung bis hin zur Optimierung von Lieferketten. Man wollte nicht mehr nur der Denker sein, sondern auch der Macher.
Doch genau hier liegt eine der Wurzeln des aktuellen Problems. Während McKinsey expandierte, hat ein Rivale den Wandel offenbar besser gemeistert: die Boston Consulting Group (BCG). Auch BCG setzte auf eine Diversifizierung des Angebots, insbesondere im digitalen Sektor. Insidern zufolge gelang es BCG jedoch weitaus besser, die dafür notwendigen Spezialisten nicht nur zu rekrutieren, sondern auch langfristig zu binden und effektiv einzusetzen.
Die Konsequenzen sind dramatisch. War McKinsey 2012 noch doppelt so gross wie BCG, ist der Vorsprung auf nur noch ein Fünftel geschrumpft. Setzt sich dieser Trend fort, könnte BCG seinen Erzrivalen bereits im übernächsten Jahr beim Umsatz überholen. Der Kampf der Titanen hat eine neue Dynamik bekommen.
Neue Jäger im Revier: Wenn Software zur Beratung wird
Die Bedrohung für McKinsey kommt jedoch nicht nur aus dem Lager der traditionellen Konkurrenz. Eine neue Art von Wettbewerber betritt die Bühne, angetrieben durch die grösste technologische Umwälzung unserer Zeit: die künstliche Intelligenz. Neben den Verwerfungen im globalen Handel ist KI das dominierende Thema in den Vorstandsetagen. Und um dieses komplexe Feld zu navigieren, wenden sich CEOs zunehmend an neue Partner.
Ein Name, der in diesem Zusammenhang immer wieder fällt, ist Palantir. Das Softwareunternehmen, dessen Umsatz im zweiten Quartal dieses Jahres um fast 50 Prozent im Vergleich zum Vorjahr explodierte, ist mittlerweile wertvoller als Konzerne wie Chevron oder Coca-Cola. Palantirs Geschäftsmodell ist faszinierend und für McKinsey brandgefährlich. Das Unternehmen verkauft nicht nur Software-Tools, die Firmen helfen, ihre Daten für KI-Modelle aufzubereiten. Es entsendet auch seine eigenen Ingenieure direkt zu den Kunden, um die Technologie tief in deren Prozesse zu verankern. Dieser Ansatz steht in direkter Konkurrenz zu den KI-Dienstleistungen, die McKinsey und andere Berater anbieten.
Palantir ist kein Einzelfall. Selbst Technologieführer wie OpenAI beginnen, beratungsähnliche Dienstleistungen anzubieten. Sie haben erkannt, dass viele Unternehmen mit der produktiven Nutzung von KI überfordert sind. Die Präsenz „in den Schützengräben“ beim Kunden ist für diese Firmen unerlässlich – nicht zuletzt, um die eigenen Produkte zu verbessern.
Erodiert die KI das Fundament der Strategieberatung?
Diese Entwicklung könnte McKinsey und seine traditionellen Wettbewerber zurück zu ihrem Kerngeschäft zwingen: der reinen Strategieberatung auf höchster Ebene. Vorerst scheint dieses Segment auch noch gesund zu wachsen. Doch die langfristige Bedrohung ist nicht von der Hand zu weisen. Denn auch die heilige Kuh der Strategieentwicklung könnte von der KI geschlachtet werden.
Ein typisches Strategieprojekt besteht aus zwei Komponenten: tiefgründiger, intellektueller Arbeit der Senior Partner und einer gewaltigen Menge an „Drecksarbeit“ – dem Zusammentragen und Analysieren von Daten und dem Erstellen endloser PowerPoint-Präsentationen. Diese Aufgaben werden traditionell von den Junior-Beratern erledigt. Schon bald wird ein Bot einen Grossteil dieser Fleissarbeit übernehmen können.
Für einen Senior Partner mag das zunächst verlockend klingen, da er weniger junge, teure Mitarbeiter benötigt. Doch wenn ein signifikanter Teil der Projektarbeit durch eine Technologie erledigt werden kann, auf die auch der Kunde direkten Zugriff hat, wird dies unweigerlich zu einem Druck auf die Honorare führen. Warum Tausende für etwas zahlen, das eine Maschine günstiger und schneller erledigt?
McKinsey und Co. setzen darauf, dass ihre riesigen Bibliotheken an proprietärem Wissen und Fallstudien ihnen einen Schutzwall bieten. Sie alle trainieren ihre eigenen KI-Modelle mit diesem Datenschatz. Doch es wäre ein fataler Fehler, die Lerngeschwindigkeit moderner KI-Systeme zu unterschätzen.
Man mag einwenden, dass Menschen dazu neigen, die kurzfristigen Auswirkungen einer Technologie zu überschätzen und die langfristigen zu unterschätzen. Womöglich findet McKinsey, sobald KI-Tools allgegenwärtig sind, neue Felder, auf denen es seine strategische Expertise ausspielen kann. Die Fähigkeit der Beraterzunft, jeden neuen Management-Trend in ein lukratives Geschäftsfeld zu verwandeln, ist legendär.
Dennoch steht fest: Die Branche steuert auf eine Ära fundamentaler Veränderungen zu. Für McKinsey, den Giganten, der bald sein zweites Jahrhundert einläutet, werden die Herausforderungen tiefgreifender sein als je zuvor. Die Dämmerung hat begonnen, und es ist ungewiss, ob auf sie eine neue Morgensonne oder eine lange Nacht folgt.