Gaza-Konflikt: Zwischen Propaganda und Realität – Wem kann man noch trauen?

To the left, in the shadows, a silhouette of a Hamas fighter with a GoPro on his helmet is barely visible, representing the source of guerrilla footage. To the right, also in shadows, stands the silhouette of an Israeli soldier, looking out into the fog, representing uncertainty and fatigue. Neither figure's face is clear.  The lighting is dramatic and somber, with a cinematic quality. Muted, desaturated colors dominate the scene, except for the cold, digital blue and white glow emanating from the "information fog". The overall composition should evoke a sense of confusion, tension, and the difficulty of discerning truth from propaganda




Während die Kämpfe am Boden mit unverminderter Härte andauern, tobt im Gaza-Konflikt längst eine zweite, ebenso entscheidende Schlacht: der Krieg um die Wahrheit. Jüngste Videoaufnahmen, die von der Hamas verbreitet wurden, zeigen Guerilla-Taktiken von bemerkenswerter Dreistigkeit. Kämpfer sprinten am helllichten Tag auf israelische Panzerfahrzeuge zu, platzieren Sprengsätze in offenen Luken und ziehen sich zurück. Diese Clips, gefeiert auf pro-palästinensischen Kanälen, werfen drängende Fragen auf: Wo ist die Infanterie-Sicherung der israelischen Armee (IDF) Sind die Besatzungen übermüdet, unvorsichtig geworden?

Diese Angriffe sind jedoch weit mehr als nur militärische Nadelstiche; sie sind sorgfältig inszenierte Propagandastücke. Jeder erfolgreiche Angriff, festgehalten mit einer Action-Kamera, dient nicht nur dem taktischen Ziel, sondern vor allem der psychologischen Kriegsführung. Die Videos sollen die technologische Überlegenheit der IDF demontieren und das Narrativ eines unbesiegbaren, findigen Widerstands kultivieren. Sie senden eine doppelte Botschaft: An das internationale Publikum, dass Israel verwundbar ist, und an die eigene Bevölkerung, dass der Kampf trotz immenser Verluste weitergeht. Fehler und Erschöpfung sind im Krieg allgegenwärtig, doch die Häufung dieser Vorfälle deutet auf ein systematisches taktisches Problem für die IDF hin, während die Hamas ihre Kampagne fortsetzt und sogar mit der Entführung weiterer Soldaten droht.

Doch diese militärischen Auseinandersetzungen sind nur die sichtbare Spitze eines Eisbergs. Die weitaus komplexere Herausforderung liegt in der Unterscheidung von Fakten und Fiktion in einem Konflikt, der von Desinformation durchdrungen ist. Der Journalist Matti Friedman hat diese Problematik in seinem viel beachteten Artikel „Is Gaza starving? Searching for the Truth in an Information War?“ auf den Punkt gebracht. Seine desillusionierende Erkenntnis: Im Informationsnebel von Gaza gibt es kaum noch vertrauenswürdige Quellen.

Friedman, ein erfahrener Reporter mit jahrelanger Erfahrung in der Region, argumentiert, dass eine objektive Berichterstattung nahezu unmöglich geworden ist. Er kritisiert scharf die Hamas und die ihr nahestehenden Organisationen, wie das von der Hamas kontrollierte Gesundheitsministerium in Gaza oder das UN-Flüchtlingshilfswerk UNRWA. Diese Akteure, so Friedman, seien Teil einer erfolgreichen Informationskampagne, die das reale und imaginierte Leid der palästinensischen Zivilbevölkerung instrumentalisiere, um internationalen Druck auf Israel auszuüben. Die Kontroverse um die UNRWA ist hierbei ein Paradebeispiel für die Politisierung humanitärer Hilfe. Wiederholte Vorwürfe der Kollaboration von UNRWA-Mitarbeitern mit der Hamas und die Entdeckung von Hamas-Infrastruktur unter UN-Einrichtungen haben die Glaubwürdigkeit der Organisation schwer erschüttert und eine internationale Debatte über deren Finanzierung ausgelöst.

Friedmans Kritik verschont jedoch auch die internationale Presse nicht. Aus seiner eigenen Zeit als Reporter und Redakteur bei der Associated Press (AP) berichtet Friedman von der direkten Einflussnahme der Hamas auf die Berichterstattung durch Drohungen gegen lokale Mitarbeiter – eine Tatsache, die den Lesern verschwiegen wurde. Seine Schlussfolgerung ist ernüchternd: „Nahezu keine Information, die aus Gaza kommt, kann für bare Münze genommen werden.“

Doch Friedman wendet seinen kritischen Blick ebenso konsequent auf die eigene, israelische Seite. Er wirft der Regierung von Benjamin Netanjahu vor, die Öffentlichkeit wiederholt über den Fortschritt des Krieges getäuscht zu haben. Dieses Spannungsfeld wird durch die zerrissene innenpolitische Landschaft Israels weiter verschärft. Die Regierung Netanjahu agiert in einem ständigen Spagat zwischen dem Druck der Geiselfamilien, die ein Abkommen zur Freilassung ihrer Angehörigen fordern, und den Forderungen rechtsextremer Koalitionspartner, die eine noch härtere militärische Gangart verlangen. Öffentliche Verlautbarungen sind daher oft ebenso sehr innenpolitisch motiviert wie militärisch strategisch. Netanjahus Behauptung von vor über einem Jahr, man stehe „einen Schritt vor dem Sieg“, steht im krassen Gegensatz zur Realität, in der Soldaten immer wieder in bereits mit hohen Verlusten „gesäuberte“ Gebiete zurückkehren müssen.

Selbst die israelische Armee, so Friedman, sei keine verlässliche Quelle. Er verweist auf ein kürzlich vom Militär veröffentlichtes Video, das angeblich Hamas-Mitglieder bei einem üppigen Mahl in einem Tunnel zeigte. Ein Militärreporter der angesehenen Zeitung Haaretz deckte jedoch auf, dass der Clip bereits ein Jahr alt war und einige der gezeigten Kämpfer längst tot sind. Solche Praktiken untergraben die Glaubwürdigkeit der offiziellen israelischen Kommunikation massiv und nähren den Verdacht, dass auch hier die Darstellung der Realität den strategischen Zielen untergeordnet wird.

Inmitten dieses Informationsvakuums steht die unbestreitbare humanitäre Katastrophe. Ohad Hamo, ein Korrespondent für palästinensische Angelegenheiten beim meistgesehenen israelischen Nachrichtensender Channel 12, bestätigt, dass die Lebensmittellager der Hamas-Kämpfer weiterhin gefüllt seien. Gleichzeitig stellt er unmissverständlich klar: „Ich weiß nicht, ob Menschen direkt an Hunger sterben, wie in Gaza behauptet wird, aber es gibt Hunger in Gaza, und das müssen wir laut und deutlich sagen.“ Er beschreibt, wie Hilfslieferungen, wenn sie denn ankommen, oft nur von den stärksten jungen Männern erkämpft werden können, während die Schwächsten – Alte, Frauen und Kinder – leer ausgehen.

Diese Gemengelage aus Guerillakrieg, Propaganda und echter menschlicher Not führt zu der von Friedman aufgeworfenen Kernfrage: Wie sollen politische Entscheidungsträger, aber auch die Weltöffentlichkeit, die richtigen Schlüsse ziehen und fundierte Entscheidungen treffen, wenn die Informationsgrundlage derart kompromittiert ist? Die Demut, einzugestehen, dass wir vieles schlicht „nicht wissen“, mag unbefriedigend sein. Doch sie ist vielleicht der einzig ehrliche Ausgangspunkt in einem Konflikt, in dem die Wahrheit das erste und beständigste Opfer zu sein scheint.